29. November 2019
27/11/2019 - Rechtsanwalt Cristiano Zanin Martins spricht beim Berufungsverfahren gegen Sítio de Atibaia in der 8. TRF4-Klasse - Foto: Sylvio Sirangelo / TRF4

Das Gebäude des TRF-4 (Regionalgericht in Porto Alegre) war kurz vor Beginn der Gerichtsverhandlung über die Berufung im Fall “Landhaus von Atibaia” zu einem wahren Kriegsszenario geworden. Aus Lastwagen und Fahrzeugen sprangen schwer bewaffnete Polizisten. Straßen und Alleen in der Nähe des Gerichtsgebäudes wurden gesperrt und einige Zugangsbarrieren errichtet.

Das öffentliche Gebäude durfte nur von zuvor eingetragenen Richtern, Beamten, Rechtsanwälten und Journalisten betreten werden. Offensichtlich gab es keine wirkliche Bedrohung. Aber kriegerische Ästhetik war nötig, um klar zu machen, dass das Gericht einen Feind richten würde. Es ist lawfare, der in einem konventionellen Kriegsszenario stattfindet.

Zunächst wurde für den früheren Präsidenten Lula nicht die Reihenfolge bei den Berufungen im TRF-4 beachtet. Als die vorgestern behandelte Beschwerde vor dem Gericht eingereicht wurde, gab es 1.941 ähnliche Beschwerden, deren Entscheidung durch das 8. Gremium ausstand – von denen viele noch geprüft werden müssen. Das Datum für diesen Prozess wurde genau an dem Tag beschlossen (am 8/11), an dem wir aufgrund einer Entscheidung des Plenums des Obersten Gerichtshofs eine Gerichtsentscheidung erhielten, die es Lula ermöglichte, das Gefängnis nach 580 Tagen illegaler Inhaftierung zu verlassen. Das heißt, dieser Prozess scheint niemals dazu gedacht gewesen zu sein, eine rechtliche Überprüfung einer unfairen Verurteilung vorzunehmen, sondern vielmehr auf das Urteil des Obersten Gerichtshofs und die Freiheit von Lula zu reagieren.

Die von den Enthüllungen des Intercept festgestellte Zusammenarbeit zwischen der Strafverfolgungsbehörde und den Richtern konnte in gewissem Maße bei der Bearbeitung dieses Rechtsmittels festgestellt werden. Am selben Tag, dem 23.10. an dem die Staatsanwaltschaft des TRF-4 es beantragte beschloss der Richter Gebran Neto (Berichterstatter im TRF4), dass am 30.10. nur eine von mehreren Nichtigkeitsklagen vor Gericht gebracht würden, die wir zur Berufung eingereicht hatten. Zu dieser Zeit war der Standpunkt der, dass es eine teilweise Nichtigerklärung des Verfahrens gäbe, auf der Grundlage einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in Bezug auf das Recht der denunzierten Angeklagten, seine endgültigen Erklärungen nach den denunzierenden Straftätern zu auszusprechen. Aber die Konjunktur hat sich verändert.

Seitdem hat Lula das Gefängnis verlassen und die STJ (Oberster Justizgerichtshof) hat die Nichtigkeit anerkannt, auf die wir bei der Führung des vom TRF-4 vorgesehenen Prozesses hingewiesen haben. Diese Umstände führten dazu, dass derselbe regionale Staatsanwalt, der zuvor. für eine teilweise Ungültigkeit der Klage gestimmt hatte, am 19.11, also weniger als einen Monat nach der vorherigen Petition – plädierte, dass nicht einmal eine teilweise Ungültigkeit der Klage anerkannt werden sollte.

In die gleiche Richtung gingen die Stimmen der Bundesrichter des 8. Gremiums des TRF-4, die vor allem mit der Durchsetzungskraft der Stimme des Berichterstatters deutlich machten, dass sie in der Lage seien, das Verständnis des Obersten Gerichtshofs für die Nichtigerklärung von Strafverfahren in Frage zu stellen, im Fall dass denunzierte Angeklagte nicht nach den denunzierenden Straftätern sprechen durften.

Tatsächlich wurden alle in den Rechtsmittelgründen geltend gemachten Nichtigkeitsanträge zurückgewiesen. Die Tatsache, dass derselbe Bundesgerichtshof uns als Anwälte von Lula (Pet. 6.780) angerufen hatte, um anzuerkennen, dass die Vorwürfe ehemaliger Odebrecht-Führungskräfte in Bezug auf das „Landhaus von Atibaia“ vom Bundesgerichtshof in Sao Paulo geprüft werden sollten, wurde ignoriert. Sergio Moro, der die gesamte Ermittlungsphase leitete, erhielt erneut das künstliche Etikett eines unparteiischen Richters – als wüsste bei dem Gerichtshof niemand von den politisch voreingenommenen Handlungen des damaligen Richters, die er durchführte um seine jetzige Position zu erreichen (Justizminister), noch von den Nachrichten, die vom Intercept enthüllt wurden,

Die Entscheidung von Bundesrichterin Gabriela Hardt, Moros Urteil im Triplex-Fall „zu verwenden“, wurde gelobt – als wäre nicht einige Tage zuvor bei demselben Gericht eine andere Entscheidung derselben Richterin aufgehoben worden, aufgrund von Zweifel, ob nicht “ein rechtswidriges Abfangen stattgefunden hatte”, und außerdem, weil es unzulässig sei, “die Argumente eines Dritten durch Kopieren eines Verfahrensdokuments ohne Quellenangabe wiederzugeben”.

Um es klar auszudrücken: Die „Verwendung“ von Moros Urteil wurde in der Entscheidung der Richterin nicht angegeben, sondern von uns als Lulas Verteidigung durch ein vom renommierten Celso Del Picchia erstelltes dokumentarisches Gutachten hervorgehoben. Der Fall war daher identisch mit dem, der vor einigen Tagen vom selben Gremium beurteilt wurde.

Die Tatsachen, die ordnungsgemäß in den Akten vermerkt sind, wurden durch verzerrte Erzählungen oder Lesungen in einem authentischen juristischen Terraplanismus ersetzt. Um einige Beispiele anzugeben : dem Votum des Berichterstatters zufolge hat Moro versehentlich die Anwälte von Lula abgehört, weil er glaubte, dass dieses Abhören bei der Filiale einer Firma stattgefunden habe, die Lulas Vorträge organisierte. Die Tatsache, die in der Akte bewiesen wird, ist, dass in der Hauptniederlassung unseres Büros 23 Tage lang in Echtzeit unsere Gespräche und rechtlichen Strategien abgehört wurden – zu einer Zeit, als der Bundesgerichtshof festlegte, ob der Fall Lula von der Staatsanwaltschaft Curitiba geführt werden würde oder bei der Bundespolizei von Sao Paulo. Nach der Abstimmung des Berichterstatters war eine Anhörung von Rechtsanwalt Rodrigo Tacla Durán nicht zu machen, weil seine Adresse im Ausland unbekannt wäre.

Aus den Akten geht hervor, dass die Sondereinheit der Lava Jato die Adresse von Tacla Durán kennt und ihn sogar mittels Gerichtsvollzieher zu einer Anhörung in Spanien eingeladen hatte, die nicht stattfand, weil die brasilianischen Staatsanwälte nicht anwesend waren. Dem Votum des Berichterstatters zufolge wäre nachgewiesen worden, dass 700.000 R $ aus dem „Sektor strukturierender Operationen der Firma Odebrecht“ für die im „Landhaus von Atibaia“ durchgeführten Renovierungsarbeiten vorgesehen waren. Die Tatsache, die in der Akte durch eine technische Stellungnahme des Experten Claudio Wagner belegt wird, der den „Weg des Geldes“ („Follow the Money“) in vermutlichen Kopien des Systems de Firma Odebrecht identifiziert hat, ist, dass dieser Wert an einen der Top-Führungskräfte dieser Unternehmensgruppe überwiesen wurde.

In der Hauptsache galt es zu analysieren, ob bei dem Landhaus Bauarbeiten durchgeführt wurden. Das Problem ist, dass bei passiver Korruptionsbeschuldigung (KP, Art. 317) einer Verurteilung nur möglich wäre, wenn die Richter eine direkte Beziehung zwischen einer Handlung, die Lula in seiner Funktion als Präsident der Republik zwischen 2003 und 2010 (Datum des Rechtsakts) hätte praktizieren können, und dem Erhalt eines unzulässigen Vorteils, nachweisen könnten. Das heißt, sie müssten das Auftreten von Gegenleistungen nachweisen.

Keine Aussage belegte jedoch das Vorhandenseins dieses Austauschverhältnisses – einfach, weil es nicht existierte. Trotzdem bestätigten sie nicht nur die Verurteilung wegen der vorgenannten Straftat, sondern wandten auch eine Verschärfung der Strafe an, ein Urteil, das die wirksame Durchführung der Straftat dessen voraussetzt, der des mutmaßlichen kriminellen Verhaltens angeklagt ist (CP, Art. 317, § 1).

Lulas Verurteilung wegen Geldwäsche-Verbrechens wurde ebenfalls bestätigt, obwohl die abgegebenen Stimmen weder ein Verhalten des ehemaligen Präsidenten zur Verschleierung der Verwendung illegaler Werte noch sein Wissen über die Verwendung von schmutzigem Geld zeigten.

Als ob solche Probleme nicht ausreichten, ist die von der TRF-4 verhängte Verurteilung mit der tatsächlichen Strafverfolgung des Bundesstaatsanwalts gegen Lula unvereinbar, über die er seine Verteidigung vorlegte. Der Anklage zufolge hätte Lula aus acht von Petrobras unterzeichneten Einzelverträgen unangemessene Vorteile durch Bauarbeiten erhalten, die an einem Ort durchgeführt wurden, an dem er der „De-facto-Eigentümer“ wäre. Der regionale Staatsanwalt der Republik, der bei der Verhandlung anwesend war, räumte ein, dass das Landhaus Lula nicht gehört. Die Abstimmung des Berichterstatters, begleitet von den anderen Richtern, bestätigte, dass es nicht möglich ist, die Zuordnung der Petrobras-Vertragswerte zu Lula oder auch nur eine direkte Aktion des ehemaligen Präsidenten in Bezug auf diese Abmachungen festzustellen.

In Ermangelung von rechtlichen Elementen, um Lulas Verurteilung zu bestätigen, haben die Richter die politischen Argumente missbraucht, indem sie der Linie der mündlichen Anklage des Staatsanwalts gefolgt sind und den illegitimen Charakter der Klagen gegen den ehemaligen Präsidenten – die nur Mittel des lawfare darstellen – verstärkt haben.

Alle diese Verzerrungen, die die Glaubwürdigkeit des Justizsystems in Frage stellen, müssen von der Justizhierarchie korrigiert werden. Ungeachtet der Berufungen, die gestern speziell gegen die Entscheidung von TRF-4 eingelegt wurden, liegt die Wurzel der Übel in der Abwesenheit eines fairen, unparteiischen und unabhängigen Prozesses gegen Lula, worauf wir bereits in Habeas Corpus wegen Befangenheit des ehemaligen Richters Sergio Moro hingewiesen haben, dessen Urteil beim Obersten Gerichtshof abgängig ist.

Cristiano Zanin Martins ist Verteidiger des ehemaligen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva.

UOL | Übersetzt von Elisabeth Schober, Free LULA – Committee Austria.